Beim morgendlichen Gang zur Bäckerei oder durch die Backwarenabteilung im Supermarkt begegnen uns täglich verlockende Bezeichnungen wie „Vollkorn-Brötchen“, „Mehrkorn-Semmel“ oder „Körner-Wecken“. Diese Begriffe suggerieren gesunde, nährstoffreiche Backwaren und sprechen bewusst ernährungsbewusste Verbraucher an. Doch hinter den wohlklingenden Namen verbirgt sich oft eine andere Realität, die selbst erfahrene Käufer überraschen dürfte.
Die rechtlichen Grauzonen bei Brötchen-Bezeichnungen
Anders als bei verpackten Lebensmitteln unterliegen lose Backwaren weniger strengen Kennzeichnungsvorschriften. Während bei Brot klare Richtlinien existieren, bewegen sich viele Bäckereien und Supermärkte bei Brötchen-Bezeichnungen in rechtlichen Grauzonen. Das deutsche Lebensmittelrecht definiert zwar den Begriff „Vollkornbrot“ präzise, doch bei Kleingebäck wie Brötchen fehlen oft entsprechend detaillierte Vorgaben.
Diese Lücke nutzen manche Anbieter geschickt aus. Ein Brötchen darf sich bereits „Vollkorn“ nennen, wenn es einen deutlich geringeren Vollkornanteil enthält als ein entsprechendes Brot. Verbraucher gehen jedoch meist davon aus, dass beide Produkte ähnliche Nährwerte aufweisen.
Vollkorn ist nicht gleich Vollkorn
Der Begriff „Vollkorn“ erweckt den Eindruck eines besonders gesunden Produkts mit hohem Ballaststoffgehalt und wertvollen Mineralstoffen. Tatsächlich kann sich dahinter jedoch ein Brötchen verbergen, das zu großen Teilen aus hellem Auszugsmehl besteht und lediglich einen geringen Anteil Vollkornmehl oder sogar nur Kleie enthält.
Echte Vollkorn-Brötchen bestehen zu mindestens 90 Prozent aus Vollkornerzeugnissen. Viele als „Vollkorn“ beworbene Produkte erreichen jedoch nicht annähernd diesen Wert. Stattdessen verleihen bereits 10-20 Prozent Vollkornanteil dem Produkt eine dunklere Farbe und einen leicht nussigen Geschmack – ausreichend für die irreführende Bezeichnung.
Der Malz-Trick: Wenn Farbe täuscht
Besonders perfide ist der Einsatz von Malzextrakt oder Malzmehl. Diese Zutaten verleihen Brötchen eine appetitlich braune Farbe, die Verbraucher instinktiv mit Vollkorn assoziieren. Tatsächlich handelt es sich jedoch oft um helle Brötchen, die lediglich eingefärbt wurden. Der gesundheitliche Mehrwert bleibt dabei vollständig auf der Strecke.
Mehrkorn-Mythos: Mehr Körner bedeuten nicht mehr Gesundheit
Die Bezeichnung „Mehrkorn“ klingt besonders hochwertig und gesund. Verbraucher verbinden damit automatisch eine Vielfalt an wertvollen Getreidesorten und entsprechend hohe Nährwerte. Die Realität sieht anders aus: „Mehrkorn“ bedeutet lediglich, dass verschiedene Getreidearten verwendet wurden – über deren Anteil oder Verarbeitungsgrad sagt der Begriff nichts aus.
Ein Mehrkorn-Brötchen kann theoretisch zu 95 Prozent aus hellem Weizenmehl bestehen und nur minimale Mengen anderer Getreidesorten enthalten. Rechtlich ist das vollkommen in Ordnung, ernährungsphysiologisch jedoch irreführend.
Die Körner-Falle
Brötchen „mit Körnern“ oder „Körner-Brötchen“ erwecken den Eindruck, reich an wertvollen Saaten und Getreidekörnern zu sein. Häufig handelt es sich jedoch um herkömmliche helle Brötchen, auf die vor dem Backen eine dünne Schicht verschiedener Körner gestreut wurde. Diese oberflächliche Dekoration trägt kaum zum Nährwert bei, rechtfertigt aber oft einen deutlichen Aufpreis.
Echte Körner-Brötchen enthalten die wertvollen Saaten gleichmäßig im gesamten Teig verteilt und in nennenswerten Mengen. Beim Kauf sollten Verbraucher daher genau hinschauen: Befinden sich die Körner nur auf der Oberfläche oder auch im Inneren des Brötchens?
Praktische Tipps für den bewussten Brötchenkauf
Verbraucher sind den irreführenden Bezeichnungen nicht schutzlos ausgeliefert. Mit einigen praktischen Tricks lassen sich echte Vollkorn- und Körner-Brötchen von Mogelpackungen unterscheiden:
- Nachfragen lohnt sich: Seriöse Bäckereien geben gerne Auskunft über die verwendeten Zutaten und deren Anteile
- Gewicht als Indikator: Echte Vollkorn-Brötchen sind meist schwerer als helle Varianten
- Krumenfarbe prüfen: Die Farbe sollte gleichmäßig und nicht nur oberflächlich sein
- Körnerverteilung beachten: Hochwertige Körner-Brötchen enthalten Saaten im gesamten Teig
- Preis-Leistungs-Verhältnis hinterfragen: Ungewöhnlich günstige „Vollkorn“-Brötchen sind oft suspekt
Auswirkungen auf die Gesundheit
Die irreführenden Bezeichnungen haben reale Konsequenzen für die Gesundheit der Verbraucher. Wer glaubt, mit einem vermeintlichen Vollkorn-Brötchen eine ballaststoffreiche, nährstoffdichte Mahlzeit zu sich zu nehmen, wird enttäuscht. Stattdessen konsumiert er oft ein Produkt mit ähnlich geringem Nährwert wie ein herkömmliches helles Brötchen.
Besonders problematisch ist dies für Menschen mit Diabetes oder anderen Stoffwechselerkrankungen, die bewusst auf vollwertige Getreideprodukte setzen. Auch Personen, die ihr Gewicht kontrollieren möchten, werden durch die täuschenden Bezeichnungen in die Irre geführt.
Die Rolle der Lebensmittelüberwachung
Die örtlichen Lebensmittelüberwachungsbehörden sind grundsätzlich für die Kontrolle irreführender Bezeichnungen zuständig. In der Praxis gestaltet sich die Überwachung jedoch schwierig, da lose Backwaren weniger streng reguliert sind als verpackte Produkte. Verbraucherbeschwerden können jedoch dazu beitragen, schwarze Schafe zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Verbraucherorganisationen fordern schon lange eine Verschärfung der Kennzeichnungsvorschriften für Backwaren. Bis entsprechende Regelungen in Kraft treten, bleibt jedoch die Eigenverantwortung der Käufer gefragt.
Der bewusste Umgang mit Verkaufsbezeichnungen bei Brötchen erfordert zunächst etwas mehr Aufmerksamkeit und kritisches Hinterfragen. Langfristig profitieren Verbraucher jedoch von einer gesünderen Ernährung und einem besseren Preis-Leistungs-Verhältnis. Seriöse Bäckereien schätzen informierte Kunden und gehen gerne auf deren Fragen ein – ein weiterer Vorteil für alle, die Wert auf Qualität und Transparenz legen.
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