Deutsche Studie zeigt: 78% wurden schon mal geghostet – das sind die wahren Motive

Die Psychologie hinter ‚Ghosting‘ – Warum Menschen plötzlich den Kontakt abbrechen

Es ist ein Dienstagabend. Du sitzt da, checkst dein Handy und wartest sehnsüchtig auf eine Antwort. Seit drei Tagen. Die Person, mit der du seit Wochen in Kontakt standest, ist plötzlich verschwunden. Willkommen im Club der Geghosteten – einem ungewollten, aber weit verbreiteten Phänomen in unserer digitalen Welt.

Ghosting – das plötzliche und unerklärliche Beenden jeglicher Kommunikation – ist zu einem unangenehmen Bestandteil der digitalen Kommunikation geworden. Aber was genau steckt dahinter? Warum entscheiden sich manche Menschen dazu, andere zu ghosten? Und wie können wir besser damit umgehen?

Was Ghosting wirklich bedeutet

Der Begriff Ghosting beschreibt den abrupten und vollständigen Kommunikationsabbruch mit einer Person, ohne jede Vorwarnung oder Erklärung. Laut der Psychotherapeutin Dr. Jennice Vilhauer kann dies besonders belastend sein, weil es den Betroffenen die Möglichkeit des Abschlusses verweigert. Das führt oft zu erheblicher Unsicherheit und emotionalem Stress.

Wie digitale Kommunikation Ghosting begünstigt

Obwohl Menschen sich auch früher zurückgezogen haben, ist es in der digitalen Ära einfacher denn je. Früher bedeutete das Ende einer Beziehung oft ein persönliches Gespräch oder mindestens einen Anruf. Heute genügt ein einfacher Klick auf „Blockieren“ oder das Ignorieren von Nachrichten.

Laut einer Umfrage der Dating-App Plenty of Fish aus dem Jahr 2020 gaben rund 78% der Befragten an, mindestens einmal geghostet worden zu sein. Besonders bei den 18- bis 34-Jährigen scheint Ghosting Teil moderner Beziehungserfahrungen zu sein. Diese Zahl verdeutlicht: Ghosting ist zur Norm geworden.

Forschungen zeigen auch, dass digitale Kommunikation oft emotionale Distanz schafft. Durch das Kommunizieren über Bildschirme wird der andere oft als weniger real empfunden – was für manche den abrupten Kontaktabbruch als den einfacheren Ausweg erscheinen lässt.

Warum Menschen ghosten – Psychologische Hintergründe

Konfliktvermeidung als Hauptmotiv

Einer der häufigsten Gründe für Ghosting ist das Bedürfnis, unangenehme Gespräche zu vermeiden. Anstatt eine möglicherweise peinliche oder verletzende Kommunikation zu führen, entscheiden sich manche Menschen für völliges Schweigen. Laut einer Studie von Dr. Gili Freedman aus dem Jahr 2019 empfinden viele Ghoster diesen Weg als simpler und weniger belastend als ein ehrliches Gespräch.

Fehlende emotionale Intelligenz

Emotionale Intelligenz – die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren – spielt ebenfalls eine Rolle. Der Psychologe Daniel Goleman erklärt, dass Menschen mit geringer emotionaler Intelligenz häufiger zu Strategien wie Rückzug oder Schweigen neigen können – was in der digitalen Kommunikation zu Ghosting führt.

Überforderung durch zu viele Optionen

In der heutigen Dating-Welt sind wir einer Flut von potenziellen Partnern ausgesetzt. Diese Wahlüberforderung kann paradoxerweise dazu führen, dass wir Entscheidungen aufschieben oder gänzlich vermeiden. Psychologe Barry Schwartz nennt dies „The Paradox of Choice“: Die Vielzahl an Möglichkeiten führt zum Zögern und dazu, dass manche lieber keine Entscheidung treffen und einfach verschwinden.

Angst vor Nähe und Bindung

Ein weiterer möglicher Auslöser ist Bindungsangst. Dr. Sue Johnson, eine Bindungsforscherin, erklärt, dass Menschen mit vermeidenden Bindungsstilen eher dazu neigen, sich zurückzuziehen, sobald Beziehungen emotional intensiver werden. Ghosting wird so zu einem Schutzmechanismus, um möglichem Schmerz zuvorzukommen.

Die Folgen für Betroffene

Unklarheit und fehlender Abschluss

Wir Menschen brauchen einen psychologischen Abschluss, um emotional weitergehen zu können. Sozialpsychologe Arie Kruglanski stellt fest, dass ein verweigerter Abschluss zu Ungewissheit, Grübelei und emotionaler Belastung führen kann.

Angriff auf das Selbstwertgefühl

Ghosting trifft oft das Selbstwertgefühl der Betroffenen. Die fehlende Erklärung hinterlässt Raum für Selbstzweifel: „War ich nicht gut genug?“ Eine Studie von 2021 zeigte, dass Menschen, die geghostet wurden, signifikant niedrigere Selbstwertwerte aufwiesen als jene, die klare Absagen erhielten.

Moderne Varianten: Soft Ghosting & Breadcrumbing

Digitale Ausweichstrategien

Ghosting zeigt sich nicht nur im plötzlichen Schweigen. Soft Ghosting bedeutet, dass zwar noch geantwortet wird, jedoch einsilbig oder distanziert. Breadcrumbing beschreibt das „Warmhalten“ einer Person durch gelegentliche Interaktionen, ohne echtes Interesse. Laut Psychologin Dr. Raquel Peel handelt es sich hierbei um digitale Manipulation, die Betroffene unsicher und emotional instabil machen kann.

Der Schmerz durch Social Media

Besonders schmerzhaft wird Ghosting durch soziale Medien: Selbst wenn der direkte Kontakt endet, bleibt die Online-Präsenz der ghostenden Person sichtbar. Dr. Nancy Colier beschreibt dies als digitalen Voyeurismus, der den Abschlussprozess massiv erschwert.

Ghosting auch außerhalb von Beziehungen

Ghosting im Jobkontext

Ghosting ist mittlerweile auch im Berufsleben angekommen. Eine Umfrage der Recruiting-Plattform Indeed aus dem Jahr 2022 ergab, dass 36% der Bewerber keine Rückmeldung mehr von potenziellen Arbeitgebern erhielten, während 14% der Arbeitgeber berichteten, dass Bewerber am ersten Arbeitstag nicht erschienen.

Ghosting unter Freunden

Ghosting tritt auch in Freundschaften auf. Dr. Miriam Kirmayer, Psychologin, beobachtet, dass vor allem in Zeiten großer Veränderungen – wie Umzug oder Jobwechsel – Freundschaften ohne Erklärung enden. Der plötzliche Kontaktabbruch kann genauso schmerzhaft sein wie im romantischen Kontext.

Was hilft gegen Ghosting? Strategien für Betroffene

Die Realität anerkennen

Stille ist auch eine Antwort. Wenn du nach mehreren Tagen keine Reaktion erhältst, halte nicht an Erwartungen fest. Dr. Jennice Vilhauer rät, nach einer angemessenen Frist den Schlussstrich zu ziehen.

Den Kontaktabbruch nicht personalisieren

Ghosting sagt mehr über die ghostende Person aus als über dich. Es reflektiert deren Kommunikationsfähigkeit und emotionale Reife – nicht deinen Wert.

Emotionale Unterstützung annehmen

Freunde, Familie oder professionelle Beratung können helfen, den Schmerz zu überwinden und das Selbstvertrauen zu stärken. Darüber zu sprechen, kann heilend wirken.

Können wir Ghosting verhindern? Eine neue Kommunikationskultur

Ghosting lässt sich nicht immer vermeiden, aber als Gesellschaft können wir respektvollere Umgangsformen fördern. Dazu gehört:

  • Offene Kommunikation über Erwartungen und Gefühle
  • Klarheit schaffen, wenn sich Emotionen ändern
  • Wertschätzende Gespräche führen, auch bei unangenehmen Themen
  • Eigene emotionale Kompetenzen weiterentwickeln

Die Paartherapeutin Dr. Esther Perel hebt hervor, dass Ghosting darauf hinweist, dass wir den empathischen Abschiedskultur verloren haben. Echte Verbindung bedeutet, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen – auch bei einem Nein.

Ghosting verstehen – und menschlicher handeln

Ghosting ist ein schmerzhaftes, aber verbreitetes Phänomen, das aus Angst, Unsicherheit oder fehlender Reife resultiert. Verständnis für die psychologischen Hintergründe kann helfen, sich und andere besser zu verstehen – doch es rechtfertigt das Verhalten nicht.

Ein einfacher, respektvoller Satz wie „Es passt für mich nicht, aber ich wünsche dir alles Gute“ vermittelt mehr Menschlichkeit als jede Stille. Die digitalen Möglichkeiten sind zahlreich – es liegt an uns, sie verantwortungsbewusst zu nutzen.

Und wenn du gerade selbst geghostet wirst: Du bist nicht allein. Du verdienst Respekt und eine ehrliche Antwort, selbst wenn du sie nicht erhältst.

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